Wohlbefinden stärken
Wann fühlt sich der Mensch wohl? Was braucht er zum Gedeihen? Welches sind die Zutaten eines glücklichen und erfüllten Lebens? Diesen Fragen geht die positive Psychologie nach – eine erst junge Wissenschaft, die jedoch bereits viele Ingredienzen eines glücklichen und erfüllten Lebens herauskristallisieren konnte.
Philipp Schmutz – Berater der Beratungsstelle der Berner Hochschulen – über die Frage, was Menschen glücklich macht
Während einige Autoren von Glücklichsein (happiness) sprechen, verwenden andere den Begriff «subjektives Wohlbefinden» (subjective well-being). Wir verwenden hier meist den Begriff «Wohlbefinden», da dieser sowohl einen mentalen als auch einen körperlichen Aspekt hat und gut mit der Gesundheitsdefintion der WHO korrespondiert, die Gesundheit folgendermassen definiert: «Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“ (WHO, 1946). Hin und wieder sprechen wir von Glücklichsein, da dieser Begriff bei gewissen Punkten treffender ist.
Bis zur Existenzsicherung hängt das Wohlbefinden stark vom finanziellen Erfolg ab. Darüber hinaus hat Geld jedoch nur noch einen bedingten Einfluss auf das Wohlbefinden. Es ist legitim und durchaus sinnvoll, das Wohlbefinden durch beruflichen und finanziellen Erfolg zu stärken, sofern die anderen Faktoren nicht vernachlässigt werden, die ebenfalls einen grossen Einfluss auf das Wohlbefinden haben. Im folgenden Video gibt Prof. Ed Diener, einer der wichtigsten Glücksforscher, einen Überblick über die Zutaten eines glücklichen Lebens:
Prof. Ed Diener über die Zutaten eines glücklichen Lebens
Wir möchten Ihnen die einzelnen Faktoren kurz vorstellen, die Sie dabei unterstützen können, Ihr Wohlbefinden zu stärken:
- Befriedigung der Grundbedürfnisse
- Soziale Beziehungen
- Hilfsbereitschaft
- Gestaltungsspielraum
- Den Fähigkeiten entsprechende Hobbys und Tätigkeiten
- Dankbarkeit
- Achtsamkeit und Meditation
- Mitgefühlsmeditation
- Entspannung
- Spiritualität und Glaube
- Bewegung
Befriedigung der Grundbedürfnisse
Gemäss Klaus Grawe, einem ehemaligen Psychologieprofessor der Universität Bern, gedeihen wir insbesondere dann, wenn es uns gelingt, die folgenden Grundbedürfnisse zu befriedigen. Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung, das Bedürfnis nach Bindung, das Bedürfnis nach Lust sowie das Bedürfnis nach Orientierung, Kontrolle und Kohärenz. Gemäss Paul Dolan, einem britischen Psychologieprofessor der London School of Economics, kommt der Sinnhaftigkeit eine herausragende Rolle zu.
Konkret heisst dies, dass wir am ehesten gedeihen und glücklich werden, wenn wir enge und positive soziale Bindungen aufbauen können, uns aufgehoben fühlen, uns als wertvoll erleben, viel Freude und wenig Schmerz erleben, eine Kontrolle über unser Leben haben und viel Sinnhaftigkeit erleben. Auf der anderen Seite stellt eine Frustration dieser Grundbedürfnisse einen fruchtbaren Boden für psychische Störungen dar.
Soziale Beziehungen
Viele Studien konnten zeigen, wie wichtig enge soziale Beziehungen für ein glückliches Leben sind. Die Harvard Study of Adult Development, die längste je durchgeführte Langzeitstudie, zeigte, dass enge soziale Beziehungen der mit Abstand wichtigste Faktor für ein glückliches Leben sind. Der folgende TED-Talk gibt einen Einblick in die Ergebnisse dieser umfangreichen Studie:
TED-Talk: Prof. Robert Waldinger über die Ergebnisse der Harvard Study of Adult Development
Hilfsbereitschaft
Eine eindrückliche Erkenntnis ist, dass nicht nur diejenigen Personen glücklicher werden, welche Hilfe erhalten, sondern auch diejenigen, die die Hilfe anbieten. So erstaunt es nicht, dass Hilfsbereitschaft und ehrenamtliche Arbeit zu den wichtigsten Faktoren eines glücklichen Lebens zählen.
Gestaltungsspielraum
Durch ein geschicktes Zeitmanagement können wir uns Zeit freischaufeln, die wir für diejenigen Dinge verwenden können, die uns wirklich wichtig sind; sowohl auf der Arbeit als auch im Privatleben. Der Begriff «Work-Life-Balance» wird zunehmend durch den Begriff «Life-Balance» ersetzt, da Arbeit ein Teil des Lebens ist und nicht das Gegenstück des Lebens. Gelingt es uns also, sowohl die Zeit als auch die Inhalte der diversen Lebensbereiche zu gestalten, so können wir unser geführtes Leben stärker an unsere Lebenswünsche anpassen.
Den Fähigkeiten entsprechende Hobbys und Tätigkeiten
Jeder Mensch hat Fähigkeiten und Talente. Finden wir Hobbys oder eine Arbeitsstelle, die unseren Fähigkeiten entsprechen und in welchen wir aufgehen, so fühlen wir uns in der Regel wohl und ausgefüllt. Vertiefen wir uns völlig in eine Tätigkeit und gehen in ihr auf, so kann ein Gefühl entstehen, welches der emeritierte Psychologieprofessor Mihály Csíkszentmihályi als „Flow“ bezeichnet hat, einem Gefühl völliger Vertiefung, in welchem wir uns sehr wohl fühlen.
Das folgende Video zeigt auf, wie wichtig es ist, sich ein Umfeld und Tätigkeiten zu schaffen, die den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechen:
Dr. Eckart von Hirschhausen über das Pinguin-Prinzip
Dankbarkeit
In Studien konnte wieder und wieder gezeigt werden, wie wichtig Dankbarkeit für ein glückliches Leben ist. Dies ist leicht nachvollziehbar. Habe ich die Erwartungshaltung, dass mir alles zusteht, so kann ich im besten Fall zufrieden gestellt werden, werde aber wahrscheinlich ziemlich oft enttäuscht. Kann ich die positiven Dinge im Leben jedoch als Geschenke ansehen und wertschätzen, so fühle ich mich deutlich besser. Das Glück ist also durchaus eine Frage der Bescheidenheit, wie es Hildegard Knef im Lied «Na und …» ausdrückt. In diese Kategorie gehört auch das halbvolle oder halbleere Glas. Es liegt bei uns, zu entscheiden, ob wir das Glas als halbvoll oder aber als halbleer sehen.
Nicht nur das Erleben von Dankbarkeit ist ein wichtiger Grundpfeiler eines glücklichen Lebens. Auch das Ausdrücken von Dankbarkeit gegenüber anderen spielt eine sehr wichtige Rolle. So zeigte sich, dass sich nicht nur diejenigen Menschen glücklicher fühlen, denen Dankbarkeit entgegengebracht wird, sondern auch diejenigen, welche die Dankbarkeit ausdrücken.
Der folgende Film ist ein Beispiel dafür, wie wir die Dankbarkeit ausdrücken können:
Julian Huguet über ein Experiment zum Ausdruck von Dankbarkeit
Achtsamkeit und Meditation
Achtsamkeit kann man formell als Übung praktizieren oder aber auch schlicht achtsam durchs Leben gehen, wahrnehmen, wie die Vögel zwitschern, die Blätter im Wind hin und her wehen bis hin zur Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle. Achtsamkeit ist ein wichtiger Grundpfeiler für ein glückliches Leben. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass Meditation bei einer Vielzahl von Krankheiten hilfreich ist wie etwa bei Angststörungen, Schmerzstörungen, Depressionen, Stress, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie bei Krebserkrankungen. Es erstaunt daher nicht, dass viele der neueren Psychotherapieformen Achtsamkeit fix in die Therapie einbauen.
Mitgefühlsmeditation
Bei der Mitgefühlsmeditation begegnet man sich selbst wie auch allen anderen Lebewesen mit Mitgefühl und Empathie und schaut sich selbst auf eine liebevolle Art und Weise an. Die Mitgefühlsmeditation spielt eine grosse Rolle in der Compassion Focused Therapy (CFT) oder dem Mindfulness-Based Compassionate Living (MBCL), sehr jungen Verfahren, die insbesondere bei der Behandlung von übermässiger Selbstkritik eine Rolle spielen. Der folgende TED-Talk zur Mitgefühlsmeditation ist ein Beispiel dafür, wie eine liebevolle Achtsamkeit das Leben bereichern kann:
Prof. Shauna Shapiro über Achtsamkeit und liebevolle Güte (loving-kindness meditation)
Entspannung
Es gibt viele Verfahren, welche helfen zu entspannen. Die wichtigsten und am besten untersuchten Verfahren sind die progressive Muskelrelaxation (PMR), das autogene Training (AT), die Atementspannung, Phantasiereisen und weitere Imaginationsübungen bis hin zu hypnotherapeutischen Entspannungsübungen. Yoga und Meditation sind zwar keine Entspannungsverfahren im engeren Sinn, haben jedoch häufig eine entspannende Wirkung als Nebeneffekt. Es zeigte sich in vielen Studien, dass Entspannung zu einer Förderung positiver Emotionen, einer Reduktion negativer Emotionen, zu mehr Empathie, einer Reduktion von Partnerschaftsproblemen, zu einer Verbesserung von Depressionen, Angststörungen, Schmerzstörungen, Schlafstörungen, Abhängigkeitserkrankungen und zu einer Stärkung des Immunsystems führt.
Spiritualität und Glaube
Spirituelle und gläubige Menschen sind im Schnitt glücklicher als der Rest. Der Glaube selbst spielt dabei eine herausragende Rolle. Aber auch die Zugehörigkeit in eine unterstützende und haltgebende Glaubensgemeinschaft spielt eine wichtige Rolle. Dabei ist anzumerken, dass es hierbei um sinnstiftende und haltgebende Glaubensgemeinschaften geht und nicht um missbräuchliche Gruppierungen und Sekten.
Bewegung
Dass Ausdauersport in Massen gut für die körperliche wie auch die mentale Gesundheit ist, wurde durch eine Grosszahl an Studien bestätigt. Es konnte zudem mehrfach gezeigt werden, dass Kraftsport, Yoga, Tanz aber auch Gartenarbeit einen riesigen Einfluss auf unsere körperliche und mentale Gesundheit und unser Wohlbefinden haben. Der folgende TED-Talk zeigt auf, wie sich Alltagsbewegung positiv auf unsere Gesundheit auswirkt und dazu beiträgt, bis ins hohe Alter fit zu bleiben:
Dan Buettner über die Erkenntnisse aus den Blue Zones, Regionen, in welchen die Menschen überdurchschnittlich alt werden und dabei lange fit bleiben